So gelingt die Pensionierung – im Gespräch mit Anna Siegenthaler.
Die Pensionierung ist für viele ein grosser Schritt – voller Erwartungen, Fragen und auch Unsicherheiten. Anna Siegenthaler, frisch pensioniert, erzählt im Gespräch, wie sie diesen Übergang erlebt hat, warum sie die Zeit nach dem Berufsleben als Glück empfindet und welche Rolle Vorbereitung und Engagement dabei spielen. Ein Interview über Abschied, Aufbruch und neue Freiheiten
Rita Scheurer
Anna, du bist seit zwei Monaten pensioniert. Du sagst, für dich sei das ein Glück. Was ist für dich das Schöne an der Pensionierung?
Anna Siegenthaler
Es ist ein Prozess. Zwei, drei Jahre davor kann man sich das noch nicht richtig vorstellen – es betrifft immer nur die anderen.
Solange man mitten im Berufsleben steht, schiebt man die eigene Pensionierung gedanklich weit weg. Aber irgendwann beginnt man doch, sich vorzubereiten. Man geht zur Finanzberatung, macht sich Gedanken über alles Mögliche.
Im letzten Jahr wurde die Freude darauf dann spürbar. Bei ungeliebten Aufgaben dachte ich: Gut, das mache ich jetzt zum letzten Mal. Aber selbst bei Tätigkeiten, die ich mochte, war mir bewusst: Auch das ist bald vorbei.
Wenn sich Vorgesetzte nicht so verhielten, wie sie sollten, dachte ich: Das halte ich jetzt noch durch.
Rita
In welchem Bereich hast du gearbeitet?
Anna
Ich war in der IT an der Universität Bern tätig – mit Kolleginnen und Kollegen, mit denen ich gern zusammenarbeitete. Je näher der Abschied kam, desto bewusster wurde mir, wie sehr ich sie vermissen werde.
Aber trotzdem: Die Freude überwog. Es war ein Wechselspiel aus Abschied und Aufbruch.
Ich fühlte mich gut vorbereitet. Die letzten zwei Monate habe ich einfach genossen.
Rita
Worauf hast du dich am meisten gefreut?
Anna
Ich hatte mir vorgenommen, im ersten Monat eine Art Pyjamaparty zu feiern – also nur das zu tun, worauf ich gerade Lust hatte. Daraus wurde dann nichts – ich hatte einfach zu viel zu tun.
Rita
Du arbeitest ja gerne. Wie gelingt es dir, dich nicht mit zu vielen Aufgaben einzudecken? Wie findest du die Balance zwischen Zusagen und Abgrenzung?
Anna
Ich war schon vor meiner Pensionierung im Seniorenrat der Stadt Bern aktiv. Als man mich fragte, ob ich das Präsidium übernehmen wolle, sagte ich zunächst nein. Später habe ich dann doch zugesagt – und war sehr froh darüber. Es ist eine sinnvolle Aufgabe, die mir Freude macht.
Auch mein Engagement bei Queer Altern ist mir sehr wichtig und bereichernd.
Rita
Was genau machst du beim Seniorenrat der Stadt Bern?
Anna
Wir sind siebzehn Mitglieder und werden einbezogen, wenn es um öffentliche Bauten in der Stadt Bern geht – etwa bei der Gestaltung einer Unterführung oder eines Platzes.
Auch die sichere Überquerung von Strassen ist Thema. Wir prüfen, ob die geplanten Veränderungen für ältere Menschen sinnvoll und nutzbar sind. Unsere Empfehlungen bringen wir dann in den Gemeinderat ein. Ich übernehme dort auch die Vorbereitung der Sitzungen.
Rita
Dein Engagement für ältere Menschen ist sehr gross.
Anna
Ja, es macht mir einfach Freude. Bei Queer Altern setze ich mich speziell für ältere queere Menschen ein.
Wir haben verschiedene Projekte – zum Beispiel die Sensibilisierung von Pflegepersonal in Altersheimen.
Anmerkung: Queer ist ein Sammelbegriff für alle, die sich in ihrer sexuellen Orientierung oder ihrer sexuellen Identität nicht der «heteronormativen» Mehrheitsgesellschaft zugehörig fühlen.
Rita
Bleibt bei all dem auch noch Zeit für Freizeit?
Anna
Für meinen Garten habe ich jetzt endlich Zeit. Und ich bin wirklich froh, dass ich nicht mehr im Berufsleben stehe.
So bleibt neben meinem Engagement beim Seniorenrat und Queer Altern auch viel Zeit für anderes.
Früher war ich abends oft zu müde, also habe ich die Vereinsarbeit morgens zwischen sieben und halb acht gemacht – das fiel mir leichter.
Heute kann ich mir meine Zeit frei einteilen. Ich arbeite, wenn ich Lust habe.
Ich nehme mir auch Zeit für Kontakte und gehe regelmässig in die Stadt – trinke bei Lorenzini einen Kaffee und geniesse es.
Rita
Die Pensionierung ist ein Abschied im Leben. Was würdest du jemandem raten – was hat dir geholfen?
Anna
Sich vorbereiten – das ist das Wichtigste. Am besten redet man mit älteren Kolleginnen oder den eigenen Eltern, wenn das möglich ist. Eine Finanzberatung ist sehr hilfreich – so weiss man, ob man sich Sorgen machen muss oder ob man noch etwas ändern kann in den letzten Berufsjahren.
Ich habe auch geschaut, wie andere mit der neuen Lebensphase umgehen. Manche waren mir Vorbild, andere hatten grosse Mühe. Beides war lehrreich.
«Wenn man sich keine grossen finanziellen Sorgen machen muss, kann man sich wirklich freuen auf die Pensionierung.»
Rita
Welche Rolle spielt dabei der Freundeskreis – was hilft besonders?Anna:
Die meisten in meinem Freundeskreis arbeiten noch – viele interessieren sich noch nicht für das Thema.
Man muss sich Menschen suchen, mit denen man über diese Veränderungen sprechen kann.
Interessanterweise konnte ich auch mit Jüngeren über den Abschied aus dem Berufsleben reden. Gerade weil sie selbst noch nicht betroffen sind, stellen sie oft neugierige Fragen.
Die häufigste Frage ist: Was machst du jetzt so? Und wenn ich sage: Ich bin pensioniert, kommt fast immer ein echtes Interesse: Wie ist das für dich?
Rita
Sollte man generell Freundschaften über alle Altersgruppen hinweg pflegen, damit man in jeder Lebensphase jemanden hat, der einen versteht?
«Man muss sich die Menschen suchen, die einem guttun und die Situation verstehen – manchmal sind das nicht die, die man erwartet.»
Anna
Das kann ich nur bejahen. Meine Mutter konnte mir bei meiner Pensionierung nicht helfen.
Es gibt Themen, über die spricht man einfach kaum. Umso wichtiger ist es, Menschen zu finden, die einem guttun und die Situation nachvollziehen können.
Auch Bücher und Angebote wie die der Pro Senectute können helfen.
Für mich persönlich war der Verein Queer Altern am hilfreichsten. Dort treffe ich Menschen, die schon pensioniert sind – und andere, die noch mitten im Arbeitsleben stehen.
Rita
Was ist dein Fazit, wenn du zurückblickst?
Anna
Wenn man sich keine grossen finanziellen Sorgen machen muss, kann man sich wirklich freuen.
Ich wollte nie als Selbständigerwerbende arbeiten – Sicherheit und die Einbindung in ein Team waren mir immer wichtig.
Heute geniesse ich es, frei wählen zu können, wann und was ich tue – und das mit der nötigen finanziellen Sicherheit.
Mein Fazit
Keine Angst vor der Pensionierung – sondern Vorfreude.

Ich bin Rita Scheurer, Trauerrednerin und Rednerin mit Kopf, Herz und Hand. Ich begleite Menschen in schweren Momenten dabei, Worte für das Unaussprechliche zu finden – mit einfühlsamen Abschiedsfeiern, Pensionierungsreden und persönlichen Lebensgeschichten. Mein Anliegen ist es, Erinnerungen lebendig zu halten und stimmige Feiern zu gestalten. Sei die Willkommens- oder Abschiedsfeiern.
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