Ein Blick hinter die Kulissen der Trauerrednerin in Bern
Es war ein gewöhnlicher Montagabend. Ich habe in einem Buch gelesen. Offensichtlich war die Lektüre nicht sehr spannend, denn ab und zu schweifte ich ab und nahm das Smartphone zur Hand. Es war auf stumm gestellt, doch neben meinem Buch durch, sah ich im Augenwinkel, dass ein Anruf eingeht. Ich kannte die Nummer nicht und darum wusste ich anfangs auch nicht, wer die Anruferin war.
Das änderte sich nach den ersten Worten, es war eine Bekannte von mir, die wusste, dass ich in Bern Trauerrednerin bin. Nach einem kurzen Hallo vernahm ich dann: «Du meine Mutter ist gestern Abend gestorben, würdest du die Trauerfeier machen.» Meine Antwort und auch meine erste Frage war klar: «Ja natürlich gerne, ist schon etwas geplant?» «Ja am Freitag um 14 Uhr in der Kapelle auf dem Bremgartenfriedhof. Für uns ist es wichtig, die Trauerfeier noch vor Weihnachten zu machen,» antwortete Esther.
Im Wohnzimmer der Familie
Also sass ich zwei Tage später im Wohnzimmer der Familie Lüthy. Esthers Vater, der gerade Witwer geworden war, alle seine erwachsenen Kinder, Schwiegerkinder, Enkelinnen und der Urenkel. Alle hatten sich Zeit genommen für dieses Vorgespräch. Es war eine warme Atmosphäre in der Stube. Hier war am Sonntagabend auch Käthi Lüthy gestorben. Inmitten ihrer Liebsten. Als der Arzt kam, um den Tod festzustellen, habe er gestaunt: «Das habe ich noch nie erlebt, dass jemand so schön umsorgt wird», habe er gesagt, berichtet die Familie.
Auf dem Tisch standen Blumen und Bilder von Käthi und ihren Leuten. Die Familie unterhielt sich lebhaft und schilderte auch wie es war in den letzten Tagen.
Dass alle so schnell zu erzählen begannen, zeigte mit, dass das Vertrauen da war.
Die Trauer um den Verlust war einerseits spürbar andererseits spürte ich auch, wie dankbar, dass alle waren, Käthi so gut umsorgen zu können bis zum Ende. Esther, ihre Tochter ist Pflegefachfrau und konnte zusammen mit der Spitex auch die professionelle Pflege übernehmen.
Wie haben Sie ihre Frau kennengelernt?
Dann stellte ich eine meiner Lieblingsfragen: «Sagen Sie, wie haben Sie eigentlich Ihre Frau kennen gelernt?»
Meist ist dies der Moment, wo die Augen zu leuchten beginnen. So auch diesmal. Die Erinnerung wird so lebendig, und immer wieder erlebe ich, wie befreiend es ist, über Erinnerungen reden zu können, ohne unterbrochen zu werden. Die Enkelin erzählt schmunzelnd, wie sie mit Grosi Schabernack getrieben haben und diese alles mitmachte. Die zweite Enkelin wollte in diesem Moment grad nichts Lustiges erzählen – doch gab sie mir mit, was sie besonders geprägt hatte: «Grosi nahm uns immer wie wir sind, wir konnten immer zu ihr gehen.»
Beim Vorgespräch geht es hauptsächlich um das Leben, um Erinnerungen an die verstorbene Person, und es wird auch gelacht über gemeinsam erlebte Anekdoten.
Eine Frau schrieb mir kürzlich eine Karte. Ihr Mann war vor einigen Monaten gestorben: «Ich denke oft an das Gespräch mit dir, du hast mich so gut verstanden.»
Nach dem Gespräch
Mit vielen Geschichten und Liedtexten, machte ich mich auf den Weg nach Hause. In zwei Tagen ist der Ablauf mit den Angehörigen besprochen und der Text fertig. Bis der Text stimmig war, passende Übergänge von einem Kapitel zum nächsten hatte, und die Lieder an der optimalen Stelle geplant waren, war ich einige Stunden an der Arbeit. Immer wieder passte ich den Text an, las ihn laut vor und korrigierte wieder. Und dann sprach ich den Text etliche Male laut, damit ich während der Feier die Rede flüssig halten kann.
Letzte Besprechungen
Freitag 13.30 Uhr vor der Friedhofkapelle. Letzte Besprechungen mit den Musiker:innen. Die kleine Kapelle füllt sich nach und nach. Einige bleiben lange draussen. John Bieri, der Bestatter von Aurora Bestattungen, und ich unterhalten uns mit Angehörigen und Gästen. Es ist der Moment, in dem ich gerne Gastgeberin bin und dafür sorge, dass sich alle willkommen fühlen. Oft erzählen mir die Gäste von Erinnerungen, die ihnen einfallen oder wie sie in letzter Zeit in Kontakt mit der verstorbenen Person waren.
Tochter Esther spielt Cello, ein Pianist und eine Sängerin geben der Trauerrede den passenden Rahmen. Die Trauerrede ist eine Würdigung einer Person, die vieles geleistet hat im Leben. Es darf auch gesagt werden, wenn etwas im Umgang mit der Verstorbenen für die Angehörigen eher schwierig war – zum Beispiel, wenn jemand, der gegen aussen immer fröhlich erschien, zu Hause oft dunkle Zeiten hatte und sich zurückzog.
Ich wüsste gerne, wie es ist für dich da oben
Die Sängerin Silvia Hadorn singt das Lied «Dancing in the sky». Dies ist ein absoluter Hühnerhautmoment. Musik während einer Trauerfeier ist sehr wertvoll. Die Gedanken der Angehörigen und Gäste können sich in dieser Zeit frei bewegen. Manchmal fliessen Tränen, manchmal wippt jemand mit dem Fuss zum Takt oder summt leise mit.
Der Text des Liedes ist so berührend, dass ich ihn übersetzte und deutsch vorlas:
Tanzen im Himmel von Dani und Lizzy
Sag mir wie sieht es aus bei dir im Himmel
Ist es friedlich, ist man frei wie jeder sagt
Scheint den ganzen Tag die Sonne dort oben
Bist du befreit von Ängsten und Schmerzen
Denn hier auf der Erden fühlt es sich so an
Als gäbe es nix Gutes mehr seit du dort bist
Und hier auf der Erde ist nix mehr so wie es war
Es ist leer ohne dich
Refrain:
Ich wünsche mir das du da oben tanzt
Und im Chor mit den Engeln singst
Und dass die Engel wissen wenn du dort bist
Das es durch dich im Himmel noch viel schöner ist
Ich wüsste gerne wie es für dich ist da oben
Gibt es Tage voller Liebe und Licht
Spielt Musik gibt es Kunst und neue Dinge
Bist du glücklich weil du dich besser fühlst
Ich hoffe, dass durch dich der Himmel noch viel schöner ist
Dancing in the Sky von Dani und Lizzy
Weitere Musikstücke, die für Käthi Lüthy sehr wichtig waren, folgten.
Aus Le Nozze Di Figaro – Voi Que Sapete von Silvia Hadorn gesungen, begleitet von Marcin Fleszar am Klavier.
Das Wolgalied; Esther Müller Cello begleitet von Silvia Hadorn am Klavier
Ave-Maria von Bach Gounod – Esther Müller Cello, gesungen und begleitet von Silvia Hadorn am Klavier.
Es sind jeweils Momente, um sich zu erinnern und durchzuatmen.
Musik kann sehr tröstlich sein.
Was wir bei Grosi lernten
Anstelle eines Segensspruchs, sage ich am Schluss, was die Enkelinnen bei Grosi gelernt hatten:
- Durch Grosi lernten wir, dass wir gut sind, so wie wir sind
- Sie sah immer das Gute in den Menschen
- Sie nahm Menschen wie sie sind – es gab nicht verschiedene Kategorien
Und das sind meine Schlussworte: «Für Käthi war jeder Tag und jeder Moment in letzter Zeit viel intensiver. Jeder Sonnenstrahl, jede Blume waren für sie einmalig, weil sie wusste, dass es nicht ewig bleibt. Nehmen wir doch diese wunderbare Lebensart mit auf unseren weiteren Weg. Die Welt wird schöner und das Leben gfröiter, wenn wir das Schöne sehen und gut zu uns selber und zu den anderen sind.»
«Sie haben Käthi beschrieben, als hätten Sie sie persönlich gekannt»
Langsam gehen Angehörigen und Gäste in Richtung Ausgang. Da kommt eine ältere Dame zu mir und spricht mich an: «Das war sehr schön, wissen Sie ich kenne Käthi seit der Schulzeit. Sie haben sie so gut beschrieben, als hätten sie sie persönlich gekannt.»
Im Gespräch mit Armin Lüthy und Esther Müller-Lüthy
Neun Monate nach der Trauerfeier für Käthi Lüthy sitze ich mit Armin Lüthy, dem Witwer, und Tochter Esther Müller im Wohnzimmer. Wir ziehen eine kleine Bilanz.
«Ich war kürzlich in einem Jasslager mit 30 Frauen und 18 Männern. Wir haben auch über den Tod gesprochen und über Trauerfeiern. Wir waren uns einig, dass es gut ist Anekdoten zu erzählen anstatt viele Floskeln. Schade, dass viele nicht wissen, dass es freie Trauerredner:innen gibt», sagt Armin, der sehr offen über das Sterben und den Tod spricht.
«Wir hatten zweieinhalb Jahre Zeit, mit Käthi übers Sterben zu reden und darüber, was sie möchte. Für sie hat diese Trauerfeier gepasst.» Die Musik sei sehr berührend gewesen, denn es waren genau die Lieder, die Käthi gerne hatte, sagen beide. Esther, die neben ihrer Gesundheitspraxis auch noch professionell Cello spielt, wählte die Lieder mit Bedacht aus, die sie während der Feier mit den Musiker:innen, Silvia Hadorn und Marcin Fleszar spielte. «Als ich am Tag nach der Trauerfeier das Radio einschaltete, wurde das Ave-Maria gespielt, es war wie ein Zeichen der Verbindung mit Käthi», erzählt Armin.
Wie es denn sei, einer «Fremden» so viel Privates zu erzählen und darauf zu vertrauen, dass die Rede gut wird, will ich wissen. Esther Müller ist beruflich und privat mit vielen Menschen in Kontakt und weiss, wie «dünnhäutig» man ist in der Trauer. «Es war gut, dass du unser Gespräch per Smartphone aufgenommen hast, so konnten wir sicher sein, dass die Feinheiten stimmen.»
«Das Ritual mit der Kerze am Anfang der Feier und mit dem kleinen Steinherz, das wir als Erinnerung mitnehmen konnten, hat uns gefallen. Wir haben beim anschliessenden Essen viele Rückmeldungen bekommen, dass die Trauerfeier stimmig war», sagen sie.
«Und jetzt ist der Text deiner Rede bei mir und ich kann ab und zu nachlesen, was du gesagt hast,» sagt Armin Lüthy.
Trauerrednerin in Bern

Seit Anfang 2021 bin ich Trauerrednerin und zeichne Lebensgeschichten auf. Lebensgeschichten von Menschen, die zu Lebzeiten sagen wollen, was einmal gesagt werden soll.
Wenn Angehörige und Gäste nach der Abschiedsfeier sagen: „Die Feier war sehr stimmig,“ bin ich immer wieder berührt.
In meinem Newsletter erfahren Sie Gedanken, Geschichten rund ums Leben und ums Lebensende.