Spannende Fragen, ein Mädchen und ein gutes Leben
Eintauchen in Geschichten und spannende Fragen.
In Gerra Gambarogno, meinem Lieblingsort im Tessin, war es friedlich still. Das Wasser war noch zu kühl für ausgedehnte Schwimmrunden. Vor mir lag eine wichtige Entscheidung: Sollte ich etwas „Vernünftiges“ lesen oder mich in die Seiten eines packenden Krimis vertiefen?
Ich beschloss, beides zu tun. Zuerst griff ich zu „The Good Life“, einem interessanten Buch, vollgepackt mit echten Geschichten aus den letzten 80 Jahren. Nachdem ich ein Kapitel gelesen hatte, widmete ich mich dem Krimi, der mich mit seinen überraschenden Wendungen nicht losliess. Am Ende der Ferien hatte ich beide Bücher gelesen.
Wieder zu Hause fiel mein Blick auf ein weiteres Lieblingsbuch im Regal: „Momo“ von Michael Ende, ein zeitloses Werk, das ich immer wieder gerne lese.
In diesem Artikel stelle ich diese drei Bücher vor und hoffe, dich für deine Sommerlektüre zu inspirieren.
Momo von Michael Ende
Eine Geschichte, die mich immer wieder berührt. Momo, das kleine Mädchen, das einfach zuhört.
„In alten, alten Zeiten, als die Menschen noch in ganz anderen Sprachen redeten, gab es in den warmen Ländern schon grosse und prächtige Städte.“
So beginnt die Geschichte einer grossen Stadt und einem kleinen Mädchen.
„Momo“ ist ein Roman des deutschen Autors Michael Ende, der erstmals 1973 veröffentlicht wurde. Die Geschichte handelt von dem kleinen Mädchen Momo, das in den Ruinen eines alten Amphitheaters am Rande einer Grossstadt lebt. Momo hat eine besondere Gabe: Sie kann zuhören, und zwar auf eine Weise, die den Menschen hilft, ihre eigenen Probleme zu lösen. Das Thema des Buches ist die Zeit und der Umgang der Menschen mit ihr. Die Antagonisten der Geschichte sind die grauen Herren, eine Gruppe mysteriöser, unheimlicher Gestalten, die den Menschen die Zeit stehlen. Sie reden den Menschen ein, Zeit zu sparen, aber in Wirklichkeit stehlen sie die Zeit und leben davon. Dadurch wird das Leben der Menschen hektisch, leer und freudlos. Momo entdeckt das Geheimnis der grauen Herren und setzt alles daran, ihre Freunde und die Welt vor ihnen zu retten. Unterstützt wird sie dabei von Meister Hora, dem Hüter der Zeit, und einer Schildkröte namens Kassiopeia, die in die Zukunft sehen kann. Am Ende gelingt es Momo, die grauen Herren zu besiegen und den Menschen ihre gestohlene Zeit zurückzugeben. Die Geschichte betont die Bedeutung zwischenmenschlicher Beziehungen, der Musse und der wahren Wertschätzung der Zeit.
Meine Lieblingsfigur in Momo ist Beppo, der Strassenkehrer.
Die Welt mit den Augen von Beppo
Er fuhr jeden Morgen, lange vor Tagesanbruch mit seinem alten, quietschenden Fahrrad in die Stadt zu einem grossen Gebäude. Dort wartete er in einem Hof, zusammen mit seinen Kollegen, bis man ihm einen Besen und einen Karren gab und ihm eine bestimmte Straße zuwies, die er kehren sollte. Beppo liebte diese Stunden vor Tagesanbruch, wenn die Stadt noch schlief. Und er tat seine Arbeit gern und gründlich. Er wusste, es war eine sehr notwendige Arbeit. Wenn er so die Straßen kehrte, tat er es langsam, aber stetig: Bei jedem Schritt einen Atemzug und bei jedem Atemzug einen Besenstrich. Dazwischen blieb er manchmal ein Weilchen stehen und blickte nachdenklich vor sich hin. Und dann ging es wieder weiter: Schritt – Atemzug – Besenstrich. Während er sich so dahinbewegte, vor sich die schmutzige Straße und hinter sich die saubere, kamen ihm oft große Gedanken. Aber es waren Gedanken ohne Worte, Gedanken, die sich so schwer mitteilen ließen wie ein bestimmter Duft, an den man sich nur gerade eben noch erinnert, oder wie eine Farbe, von der man geträumt hat. Nach der Arbeit, wenn er bei Momo saß, erklärte er ihr seine großen Gedanken. Und da sie auf ihre besondere Art zuhörte, löste sich seine Zunge, und er fand die richtigen Worte. „Siehst du, Momo“, sagte er dann zum Beispiel,“ es ist so: Manchmal hat man eine sehr lange Strasse vor sich. Man denkt, die ist so schrecklich lang;
…das kann man niemals schaffen, denkt man
Er blickte eine Weile schweigend vor sich hin, dann fuhr er fort:
„Und dann fängt man an, sich zu beeilen. Und man eilt sich immer mehr. Jedes Mal, wenn man aufblickt, sieht man, dass es gar nicht weniger wird, was noch vor einem liegt. Und man strengt sich noch mehr an, man kriegt es mit der Angst, und zum Schluss ist man ganz außer Puste und kann nicht mehr. Und die Straße liegt immer noch vor einem. So darf man es nicht machen.“ Er dachte einige Zeit nach. Dann sprach er weiter: „Man darf nie an die ganze Straße auf einmal denken, verstehst du? Man muss nur an den nächsten Schritt denken, an den nächsten Atemzug, an den nächsten Besenstrich. Und immer wieder nur an den nächsten.“ Wieder hielt er inne und überlegte, ehe er hinzufügte: „Dann macht es Freude; das ist wichtig, dann macht man seine Sache gut. Und so soll es sein.“ Und abermals nach einer langen Pause fuhr er fort: „Auf einmal merkt man, dass man Schritt für Schritt die ganze Straße gemacht hat. Man hat gar nicht gemerkt wie, und man ist nicht außer Puste.“ Er nickte vor sich hin und sagte abschließend: „Das ist wichtig.“
Momo, Michael Ende, Thienemann Verlag
Ich höre zu – fast wie Momo – und zeichne deine/Ihre Lebensgeschichte auf.
Kontakt zu mir – ich beantworte jede Mail.
Der Feind von Christine Brand
Ich bin eingetaucht in diese fremde Welt und konnte kaum aufhören zu lesen.
„Rote, blaue und gelbe Lichtpunkte sprenkeln den Raum. Hoch oben im Gebälk dreht sich glitzernd die Discokugel, der wummernde Bass bringt den Dachstock zum Vibrieren.“
So beginnt „Der Feind“ von Christine Brand
„Der Feind“ von Christine Brand ist der fünfte Band der Reihe um die Reporterin Milla Nova und den Polizeichef Sandro Bandini. Die Geschichte dreht sich um zwei Hauptfälle, die beide vom Hass auf das jeweils andere Geschlecht geprägt sind.
Im ersten Fall geht es um eine Mordserie, bei der Männer nackt und gefesselt in roten Stöckelschuhen aufgefunden werden. Die Opfer hatten zuvor Drohungen erhalten, unter anderem Fotos, auf denen sie mit Stöckelschuhen im Gesicht abgebildet waren. Im zweiten Fall geht es um einen brutalen Überfall in einer Frauendisco, bei dem der Täter wahllos um sich schiesst. Hier vermutet Milla Nova, dass Frauenhass das Motiv sein könnte und beginnt zusammen mit ihrem blinden Freund Nathaniel in der Incel-Szene zu ermitteln.
Im Laufe der Ermittlungen von Sandro Bandini und seinem Team wird klar, dass die beiden Taten miteinander in Verbindung stehen könnten. Die Geschichte wird aus verschiedenen Perspektiven erzählt, was die Spannung erhöht und den Leser tief in menschliche Abgründe blicken lässt.
Christine Brand lebt von Mord und Totschlag – SRF
Brand Christine, Der Feind Penguin Random House (2023)
Ein gutes Leben – The Good Life
Ein süffiges Fachbuch voller Geschichten aus 80 Jahren Forschungsgeschichte.
Gut verständlich geschrieben. Immer wieder sind Fragen, die anregen, um über das eigene Leben nachzudenken.
„Wenn Sie, hier und jetzt, eine Entscheidung treffen müssten, die Ihnen den Weg zu zukünftiger Gesundheit und Zufriedenheit ebnet, welche Entscheidung wäre das?“
So beginnt „The Good Life“
„Das gute Leben“ von Robert Waldinger und Marc Schulz basiert auf den Erkenntnissen der Harvard Adult Development Study, einer der längsten Studien über Glück und Wohlbefinden. Das Buch untersucht, was ein erfülltes Leben ausmacht, und stützt sich dabei auf mehr als 80 Jahre Forschung, in denen das Leben von Hunderten von Teilnehmern verfolgt wurde.
Die Kernaussage des Buches ist, dass die Qualität unserer Beziehungen der Schlüssel zu einem guten Leben ist. Waldinger und Schulz argumentieren, dass sinnvolle Beziehungen zu anderen Menschen die wichtigsten Faktoren für Glück und Gesundheit sind. Sie betonen, dass nicht die Quantität, sondern die Qualität der Beziehungen entscheidend ist. Positive, unterstützende Beziehungen wirken wie ein Puffer gegen die Stressfaktoren des Lebens und tragen zu einem Glücksgefühl bei, das ein langfristiges Gefühl von Zufriedenheit und Sinnhaftigkeit ist.
Geschichten und Wissenschaft
Die Autoren geben auch praktische Ratschläge, wie man seine Beziehungen bewerten und verbessern kann. Sie diskutieren die Bedeutung von Präsenz und Aufmerksamkeit in Interaktionen und bieten Strategien zur Verbesserung verschiedener Arten von Beziehungen, einschließlich der Beziehungen zu Partnern, Familie, Freunden und Kollegen.
Das Buch verbindet wissenschaftliche Forschung mit emotionalen Erzählungen und illustriert die Themen mit Anekdoten der Studienteilnehmer. Diese Mischung aus Daten und Geschichten trägt dazu bei, die Lehren für den Leser verständlich und umsetzbar zu machen.
Insgesamt liefert „The Good Life“ ein überzeugendes Argument dafür, Beziehungen als Grundlage für ein glückliches und erfülltes Leben zu sehen.
Auszug aus „The Good Life“ – spannende Fragen
Spannende Fragen aus „The Good Life“
Immer wieder werden Forschungsfragen eingefügt wie diese:
Harvard-Study-Fragebogen, 1989:
Denken Sie an Ihre zehn besten Freunde (Familie und nahe Verwandte ausgeschlossen). Wen würden Sie jeweils welcher der folgenden Kategorien zuordnen?
- Enge Freundschaft; wir teilen Freud und Leid.
- Freundschaft; wir haben viele gemeinsame Interessen.
- Zwanglose Freundschaft; wir treffen uns eher zufällig.
Robert Waldinger und Marc Schulz machen Vorschläge für ein gutes Leben wie diesen:
„Denken Sie an jemanden, nur einen einzigen Menschen, der Ihnen wichtig ist. Jemand, der vielleicht nicht weiss, wie viel er Ihnen wirklich bedeutet. Das könnte Ihr Ehemann oder Ihre Ehefrau sein, Ihre Partnerin oder Ihr Partner, ein Freund oder eine Freundin, eine Kollegin oder ein Kollege, Bruder oder Schwester, ein Elternteil, ein Kind, auch ein Trainer oder eine Lehrerin von früher.
Diese Person könnte neben Ihnen sitzen, während Sie dieses Buch lesen oder hören, sie könnten am Spülbecken stehen und das Geschirr abwaschen, sie könnte sich aber auch in einer anderen Stadt oder einem anderen Land befinden. Überlegen Sie, an welchem Punkt ihres Lebens diese Person steht. Womit hat sie zu kämpfen? Denken Sie darüber nach, was sie Ihnen bedeutet, was sie für Sie in Ihrem Leben getan hat. Wo wären Sie ohne diese Person? Wer wären Sie?
Denken Sie jetzt darüber nach, wofür Sie dieser Person danken würden, wenn Sie glaubten, sie nie wiederzusehen.
Und dann – genau jetzt – wenden Sie sich dieser Person zu. Rufen Sie sie an. Sagen Sie ihr, was sie Ihnen bedeutet.“
Robert Waldinger TED Talk 2025
Das gute Leben, Robert Waldinger und Marc Schulz, Kösel Verlag (2023)
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Beitragsbild: Barbara Schärer bs-fotografie.ch
Besen: pixabax.com